Die Zeit der Aufklärung und die Aussage des Philosophen Descartes „Ich denke, also bin ich.“ sollen ursächlich daran beteiligt gewesen sein, dass wir in unserem Denken und Verhalten unseren Kopf vom Körper „abgetrennt“ haben. In den letzten Jahren wächst jedoch zunehmend die Erkenntnis, dass Gehirn und Körper in enger Verbindung miteinander stehen. „Embodiment“ lautet der Begriff für dieses Phänomen, mit dem sich die Psychologin Maja Storch, die Körpertherapeutin Benita Cantieni, der Neurobiologe Gerald Hüther und der Psychologe Wolfgang Tschacher in ihrem Buch „Embodiment – Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen“ befassen.
Den Auftakt macht Wolfgang Tschacher, der sich mit der Entwicklung und den – teilweise befremdlichen – Einsätzen der Künstlichen Intelligenz (KI) beschäftigt. Es scheint unglaublich, dass amerikanische Psychiater ein Computerprogramm namens ELIZA zur Behandlung ihrer Patienten einsetzen. Tschacher zeigt auf, warum KI keine Zukunft hat und wie sich das Embodiment seinen Weg in unser Bewusstsein bahnte.
Maja Storch nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die psychologische Forschung und vermittelt ihm einen spannenden Einblick in die durchgeführten Versuche. In einem Fall ging es um den Zusammenhang von Körperhaltung und Durchhaltevermögen bei einer frustrierenden Aufgabe. Eine Versuchsgruppe musste zunächst in einer gekrümmten Haltung sitzen und anschließend geometrische Puzzles lösen. Eine weitere Versuchsgruppe erhielt die Anweisung, aufrecht zu sitzen und löste danach die gleichen Puzzles. Das Ergebnis: „Gruppe 1, die 8 Minuten gekrümmt worden war, bearbeitete im Schnitt 10,78 Teilchen vor dem Wechsel zum nächsten Stapel, Gruppe 2, die vorher aufrecht gesessen war, hielt im Schnitt 17,11 Teilchen durch, also deutlich länger.“
Gerald Hüther erläutert anschaulich die Zusammenhänge zwischen Körper und Gehirn, indem er unter anderem darauf hinweist, dass in unseren Organen Botenstoffe für unser Gehirn produziert werden. Er beschreibt, wie wir als Kinder gedrillt werden, Körper und Gehirn voneinander zu trennen und welche Auswirkungen dies auf unser Verhalten und unsere Emotionen hat. Doch für jeden, der durch veränderte Körperhaltungen und Bewegungsmuster wieder mit seinem Körper in Verbindung kommt, „besteht der Lohn der „Anstrengung in einer Wiederentdeckung seiner eigenen Kompetenz, in einer neuen Haltung und einer neuen Gesinnung – und nicht zuletzt in einem Zuwachs an Selbstgefühl und Selbstvertrauen.“
Wie das praktisch geht, erläutert Benita Cantieni, die zunächst anhand thermografischer Bilder die Zusammenhänge zwischen Körperhaltung und Wärmeverteilung im Körper aufzeigt. Anschließend lädt sie den Leser ein, selbst entsprechende Haltungen einzunehmen, seine Gefühle wahrzunehmen und aufzuschreiben. Und dann gibt sie die Anleitung, wie man sich ein gesundes Embodiment erzeugen und im tatsächlichen wie im übertragenen Sinne aufrichten kann.
Das Buch ist lesenswert, denn es bringt dem Leser ein spannendes Thema aus unterschiedlichen Perspektiven nahe. Abgerundet wird es durch einen Überblick, wie Embodiment mit dem Zürcher Ressourcenmodell umgesetzt werden kann, ein hervorragendes allgemeines und ein ausgezeichnetes anatomisches Glossar sowie eine umfangreiche Übersicht an Literatur und Internetadressen.
Embodiment – Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. Maja Storch, Benita Cantieni, Gerald Hüther, Wolfgang Tschacher. Verlag Hans Huber, Bern, 2010. 180 Seiten, gebunden, ISBN 3456848374, ISBN-13: 978-3456848372, Euro 29,95.