„Wege des Wohnungsbaus im 21. Jahrhundert“ lautete der Titel eines Kongresses, der am 23./24. August im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Hamburg stattfand. Zu den Referenten zählte Rainer Bomba, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. BundesBauBlatt-Mitarbeiterin Jola Horschig sprach mit ihm über das Wohnen, Bauen und Leben in der Stadt der Zukunft.
Herr Bomba, wie sehen Sie das Wohnen in der Stadt in Deutschland im internationalen Umfeld?
Zahlreiche Gespräche, die ich mit Bürgermeistern und Städteplanern aus anderen Ländern geführt habe, machen immer wieder deutlich, dass unsere Städte im internationalen Vergleich einen sehr hohen Standard aufweisen – sowohl hinsichtlich der Wohnqualität als auch bei der Kombination von Wohnen und Verkehr.
Trotzdem müssen wir in den nächsten Jahren neue Wege gehen, sonst funktioniert das Zusammenspiel von Verkehr, Bauen und Wohnen nicht mehr. Der Wohlstand in vielen Teilen der Welt wird weiter wachsen und damit auch die Anzahl der Fahrzeuge. Städte wie Lima, Bogota, Sao Paulo ertrinken bereits jetzt im Verkehr. Das gilt es, für die Städte in Deutschland zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund müssen wir andere Strategien umsetzen: Strategien, die das Ziel haben, auf allen Ebenen die unterschiedlichen „städtischen Energien“ in Bündnissen für nachhaltige Stadtentwicklung zusammenzuführen.
In vielen Gegenden Deutschlands zieht es die Menschen in die Stadt. Glauben Sie, dass dieser Trend anhalten wird?
In den kommenden Jahren ja. Wir müssen hierbei vor allem zwei Aspekte berücksichtigen: Wir werden immer älter und – wie der letzte Mikrozensus gezeigt hat – wir werden weniger. Die Menschen ziehen in die Ballungszentren, weil sie dort die komplette Infrastruktur vorfinden. Sie haben dort die Versorgung, nicht nur was die Geschäfte angeht, sondern auch Apotheker und Ärzte sowie das soziokulturelle Angebot wie Kino und Theater.
Das heißt, wir müssen die ländlichen Räume stärken und dafür sorgen, dass die entsprechende Infrastruktur auch auf dem Land vorhanden ist. Wir tun dies bereits, beispielsweise durch die „Initiative Ländliche Infrastruktur“, das Städtebauförderungsprogramm „Kleinere Städte und Gemeinden“ oder durch das Projekt Multiple Häuser, in dem öffentliche Gebäude flexibel für wohnortnahe Versorgungsleistungen genutzt werden.
In welche Richtung wird sich das Leben, Wohnen und Arbeiten in der Stadt entwickeln?
Mittelfristig gesehen werden wir eine Renaissance der Stadt erleben. Die Städte werden sich stark verändern – sie werden grüner, ruhiger und sauberer. Unsere Erkenntnisse hinsichtlich Klimazonen, Kaltluftschneisen, neuer Baustoffe, Energiegewinnung, Einsatz von grüner, erneuerbarer Energie in der Eigenproduktion, um nur ein paar Aspekte zu nennen, werden uns ein ganz anderes Leben in der Stadt ermöglichen. Wir müssen jedoch darauf achten, dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Mit Fehlern meine ich beispielsweise die Ghettoisierung ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Mein Ziel ist, dieses Thema auf Grundlage unserer mittlerweile jahrzehntelangen Erfahrungen aktiv anzugehen und Veränderungen zu bewirken.
Wir brauchen in der Stadt eine gute Durchmischung.
Möglich wird dies, indem wir uns bewusst um ganze Stadtteile kümmern, die Mittel und das Wissen von Bund, Ländern und Kommunen bündeln und gemeinsam daran arbeiten, Stadtteile aufzuwerten. Das bedeutet nicht nur baulich aufwerten. Dies betrifft die Infrastruktur, die Arbeitsplätze, die Geschäftswelt, die Wirtschaft, den Wohnungsbestand und auch den vermehrten Einsatz von Sozialarbeitern. Wir haben im letzten Jahr das Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ neu ausgerichtet und auf 40 Mio. € aufgestockt. Meine Intention ist, diese Mittel in den nächsten Jahren weiter zu erhöhen. Der Bedarf dafür ist da und steigt zunehmend an.
Welchen Stellenwert messen Sie den unterschiedlichen Wohnkategorien bei?
Es ist wichtig, dass wir beim Wohnen für den richtigen Mix sorgen. In den letzten Jahren wurden eine Vielzahl großer, teurer Wohnungen in guter Lage errichtet und Produktionsgebäude zu attraktiven Lofts umgebaut. Die Nachfrage dafür war und ist da. Wir müssen jedoch sehen, dass wir bezahlbare Wohnungen und bezahlbare große Wohnungen für Familien mit Kindern in ausreichender Anzahl haben.
Die sollen nicht in irgendwelchen Randlagen oder Satellitensiedlungen liegen. Wir brauchen auch hier eine Durchmischung und Quartiere, die Ghettoisierung verhindern und ein gemeinsames Miteinander fördern. Im Vordergrund stehen dabei entsprechende Maßnahmen für das Wohnumfeld, für die Infrastruktur und für die Qualität des Wohnens. Gerade in benachteiligten Stadtteilen ist es wichtig, für mehr Generationengerechtigkeit, Familienfreundlichkeit zu sorgen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Integration aller Bevölkerungsgruppen zu verbessern.
Was für Gebäude brauchen wir in der Stadt der Zukunft?
Unsere Wohnungen, unsere Gebäude werden sich elementar ändern. Aus dem eher passiven Haus – damit meine ich nicht das Passivhaus, sondern das Haus, in das wir viel Energie stecken und für das wir Materialien verwenden, die nicht recycelbar sind – werden aktive Häuser entstehen. Wohn- und Produktionsgebäude, die über erneuerbare Energien, sprich Photovoltaik und Oberflächen-Geothermie, ihre eigene Energie erzeugen. Die Windenergie, selbst kleinste Windströme, können wir bei höheren Häusern über Flachturbinen nutzen.
Wir werden die Energie, die wir nicht brauchen, speichern und der Elektromobilität zuführen. D.h. wir werden unsere Wohnhäuser und Produktionsstätten mit der Mobilität kombinieren. Die Energie, die wir generieren, nutzen wir für das Wohnen, für die Mobilität und vielleicht sogar noch dafür, sie ins Netz einzuspeisen. Das wird das Bauen und Wohnen der Zukunft sein.
Eine wichtige Rolle werden dabei die Verwendung neuester Materialien und neueste Erkenntnisse in der Gebäudetechnik spielen. In den letzten Jahren gab es bahnbrechende Entwicklungen. Das wird so weiter gehen. Der Begriff „Aktive Häuser“ umfasst jedoch noch mehr, „Design for all“ lautet das Stichwort. Wir haben gerade ein Forschungsvorhaben unterstützt, das vorsieht, Häuser mit wenigen Maßnahmen barrierearm umzubauen. Davon profitieren junge Familien mit kleinen Kindern genauso wie ältere Menschen. Wir sind ausgerichtet auf die Energie, auf die soziokulturellen Aspekte, auf die Ressourceneffizienz, auf die Wiederverwertung von Stoffen. Das Aktivhaus in Kombination mit der Elektromobilität wird das Bauen der Zukunft bestimmen. Unser Ziel ist, dies zu forcieren.
Herr Bomba, herzlichen Dank für das Gespräch.
Jahresbilanz LichtAktiv Haus
Die solarthermischen Erträge und die Gewinne aus der Photovoltaik liegen über den kalkulierten Werten. Der Heizwärmebedarf ist geringer als berechnet, obwohl die Innenraumtemperatur im Winter durchschnittlich 2,5 °C über den nach Norm kalkulierten Werten lag. Der Stromverbrauch für die Erzeugung der benötigten Heizenergie liegt über den theoretischen Berechnungen. Die Anlagentechnik muss optimiert werden. So lautet kurz und knapp zusammengefasst die 1-Jahresbilanz, die Velux für das LichtAktiv Haus in Hamburg zieht. Das Siedlungsgebäude, das in 1950er Jahren errichtet und im Rahmen der IBA Hamburg modernisiert wurde, ist auch offizielles Projekt der Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Es zeichnet sich durch ein innovatives Tageslicht- und Energiekonzept sowie eine moderne, offene Raumgestaltung aus. Eine Testfamilie stellt Gebäude und Konzept zwei Jahre auf die Probe. Das Experiment wird von mehreren Universitäten wissenschaftlich begleitet.
Erschienen in BundesBauBlatt 10/2013 und online auf www.bundesbaublatt.de